Mythen um Krafttraining bei Kindern
Leider wird in Lehr- und Trainingsplänen noch immer argumentiert, dass ein Krafttraining für Kinder vor der Pubertät Schäden herbeiführen kann. Betroffen seien vor allem die noch weichen Knorpel und Knochen der Kinder und hier insbesondere die Wachstumsfugen.
Es kursieren sogar Gerüchte, dass Krafttraining das Längenwachstum negativ beeinflussen kann. Auch sei ein zu niedriges Aufkommen an Geschlechtshormonen schuld daran, dass Adaptionen (Anpassungen), ausgelöst durch Muskeltraining, noch nicht stattfinden können.
In den letzten Jahren wurde jedoch viel zu diesem Thema geforscht, was zu einer deutlichen Änderung der wissenschaftlichen Haltung gegenüber Krafttraining in jungen Jahren geführt hat.
Krafttraining ist bereits im Kindesalter dazu geeignet, Gesundheit und Wohlbefinden zu verbessern.
Sicherheit bescheinigt
Bereits im Juni 2009 befasste sich die Studie „Strength Training in Children and Adolescents“ mit der Sicherheit von Krafttraining für Kinder sowie Jugendliche und kommt zu dem klaren Schluss, dass Krafttraining bereits im Kindesalter dazu geeignet ist, Gesundheit und Wohlbefinden zu verbessern. Und das auf völlig ungefährlichem Wege, solange es sich um angepasste und ausreichend überwachte Programme handelt.
Die gesundheitlichen Vorzüge eines Krafttrainings in jungen Jahren überwiegen bei weitem den Gefahren. Und sie stehen nicht in direkter Beziehung zu potenziellen Risiken, die – wenn überhaupt – nur auftreten, wenn ein Trainingsprogramm schlecht vorbereitet ist oder unzureichend kontrolliert wird. Das gilt letztlich aber generell für alle sportlichen Aktivitäten von Kindern.
Auch hinsichtlich eines vorzeitigen Schlusses von Wachstumsfugen gilt eine kontrollierte Gewichtsbelastung inzwischen als absolut ungefährlich. Längerfristige Wachstumsstörungen sind eher von akuten Frakturen (Brüchen) im Kindesalter bekannt, wie sie bei Kontaktsportarten (Fußball, Handball, Volleyball, Karate usw.) wesentlich häufiger auftreten als beim Krafttraining.

Krafttraining wirkt sich bei richtigem Trainingsplan und guter Betreuung nicht negativ auf das Wachstum aus.
Krafttraining hat positive Effekte
Das Ziel eines Krafttrainings für Kinder und Jugendliche sollte keinesfalls eine Steigerung der Muskelmasse wie im Bodybuilding sein. Vielmehr geht es hier um die Verbesserung der allgemeinen Fitness, eine generelle Verbesserung sportlicher Leistungen, Verletzungsprophylaxe und auch eine Steigerung des psychischen Wohlbefindens.
Die Forscher Fröhlich et al. befassten sich mit den Auswirkungen eines apparativen Krafttrainings und widerlegten die in früheren Publikationen getätigten Aussagen, ein Krafttraining habe bei Kindern und Jugendlichen keinen Effekt auf die Steigerung von Kraftleistungen, solange nicht die Geschlechtsreife erreicht sei.
Unterschiedlichste Arbeiten beschrieben Kraftsteigerung um durchschnittlich 23% nach nur zehn Trainingseinheiten mit je drei Sätzen. Eine Analyse untersuchte 69 Studien und differenzierte mehrere Untersuchungsergebnisse nach Alter, Geschlecht sowie den angewandten Trainingsmethoden. Dabei wurde herausgefunden,
- dass sich im Kindes- und Jugendalter annähernd gleiche Anpassungen wie bei Erwachsenen feststellen lassen
- dass geschlechtsspezifische Unterschiede bestehen, d.h. bei Mädchen treten aufgrund des oft niedrigeren Ausgangsniveaus stärkere Effekte auf
- dass das konzentrisch/exzentrische Training im Vergleich zum isometrischen Training bessere Effekte erzielt.
Belegt sind inzwischen neurophysiologische und morphologische Anpassungen sowie koordinative Lerneffekte. Krafttraining stärkt zudem nicht nur das Bindegewebe, sondern auch den Sehnenapparat und macht diese Einrichtungen so weniger verletzungsanfällig.
Ziel eines Krafttrainings für Kinder und Jugendliche sollte keinesfalls Muskelmasse sein.
Fachgerecht ausgeführt, schadet Krafttraining den Knochen nicht, sondern hat sogar positive Effekte auf die Knochenentwicklung, wie aus einer Studie des British Journal of Sports Medicine hervorgeht.
Krafttraining bewirkt diesen Effekt, weil es über entstehende Zugkräfte und einen damit verbundenen Anstieg der Knochenmineralisierung zusätzliche Knochensubstanz aufbaut. Am intensivsten werden derartige Effekte bei Jungen und Mädchen im Alter von 11 bis 13 Jahren beobachtet.
Indirekt verhilft Krafttraining den Kindern und Jugendlichen auch zu einer besseren Körperzusammensetzung mit einem höheren Anteil an FFM (fettfreier Masse) und einem niedrigeren Anteil an FM (Fettmasse) und wirkt sich positiv auf das Herz-Kreislaufsystem aus.
Koordination vor Muskelwachstum
Interessant ist die Tatsache, dass ein Krafttraining bei Kindern vor der Pubertät zwar Kraftleistungen ansteigen lässt, dies aber zunächst keine sichtbaren Muskelzuwächse zur Folge haben muss. „Schuld“ daran sind Verbesserungen der sog. intermuskulären und intramuskulären Koordination, also dem Zusammenspiel zwischen Muskeln und Nerven.
Und genau dies ermöglicht nicht nur die volle Aktivierung von Muskelfasern im Rahmen einer Bewegung, sondern verbessert auch das Reaktionsvermögen, das notwendig ist, um beispielsweise einen umknickenden Fuß rechtzeitig muskulär zu stabilisieren.
Während man bestimmte Übungen zum Aufbau der Kraftleistung schon ab dem fünften Lebensjahr für denkbar hält, beginnt ein „richtiger“ Muskelaufbau etwa ab dem 13. Lebensjahr mit dem Eintritt in die Pubertät, in der hormonelle Veränderungen die hierzu notwendigen Voraussetzungen schaffen.

Krafttraining bei Kindern und Jugendlichen führt vorrangig zu einer verbesserten Muskelkoordination und Kraft.
Vorgaben für ein Krafttraining im Kindes- und Jugendalter
Granacher et al. fassen die Vorgaben für ein Krafttraining im Kindes- und Jugendlichenalter wie folgt zusammen:
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Vorpubertät
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Pubertät
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Belastungsumfang
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- 8 Wochen
- ca. 30 Minuten pro Trainingseinheit
- 6-8 Übungen pro Trainingseinheit
- 1 Serie mit 15-20 Wiederholungen
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- 12 Wochen
- ca. 45 Minuten pro Trainingseinheit
- 8-10 Übungen pro Trainingseinheit
- 1 - 3 Serie mit 6-20 Wiederholungen
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Belastungsfrequenz
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1-2 Trainingseinheiten pro Woche
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2-3 Trainingseinheiten pro Woche
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Belastungsintensität
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Regulierung über das subjektive Belastungsempfinden: Das Kind sollte auf einer Skala von 1-10 den Belastungswert 6 angeben
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Regulierung über das subjektive Belastungsempfinden: Das Kind sollte auf einer Skala von 1-10 den Belastungswert 7 angeben
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Kontraktions-geschwindigkeit
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Langsam bis moderat
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Trainingssteigerung
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Zuerst wird die Wiederholungszahl, dann die Serienzahl und erst zuletzt die Last erhöht
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Die Skalierung des Belastungsempfindens ist wie folgt definiert:
0 = überhaupt keine Anstrengung
1 = sehr milde Anstrengung
2 = milde Anstrengung
3 = angenehme Anstrengung
4 = mäßige Anstrengung
5 = recht schwere Anstrengung
6 = angenehm schwere Anstrengung
7 = schwere Anstrengung
8 = sehr schwere Anstrengung
9 = sehr, sehr schwer (fast maximal)
10 = maximale Anstrengung
Trainingsgestaltung nach Fröhlich
Etwas differenzierter geht das Forscherteam Fröhlich et al. vor. Sie sehen für das Vorschulalter (3 bis 7 Jahre) aufgrund des hochgradigen Bewegungs- und Spieldrangs, der ausgeprägten Neugierde und der speziellen Lernbereitschaft - die aber noch mit einer geringen Konzentrationsfähigkeit einhergeht - vorerst nur Bewegungsaufgaben auf Fertigkeitsbasis mit kurzweiligen Inhalten vor. Ein Fitnesstraining im Kraftbereich ist hier eher noch abzulehnen.
Das frühe Schulkindalter (6 bis 10 Jahre) ist geprägt von einer guten motorischen Lern- und Leistungsfähigkeit, hohem Sportinteresse, aber noch etwas unbeholfenem Bewegungsverhalten. Für diese Altersgruppe eignet sich besonders spezielle Kindergymnastik mit Elementen zur Schulung koordinativer Fähigkeiten, während man hier von Krafttraining noch Abstand nehmen sollte.
Das späte Schulkindalter (10 bis 13 Jahre) stellt die Schlüsselphase für das spätere Bewegungskönnen dar. Die höchstmögliche Beweglichkeit und ein sehr günstiges Last-Kraftverhältnis stellen die Basis für funktionsgymnastische Kräftigungs- und Beweglichkeitsübungen, aber auch für die Aufnahme eines gerätegestützten Krafttrainings dar, bei dem es vorwiegend um den qualitativen Aufbau von Fertigkeiten und eine Erweiterung des Bewegungsschatzes geht.
Mit Eintritt in die Pubertät (11 bis 14 Jahre bei Mädchen und 12 bis 15 Jahre bei Jungen) erhöhen sich zwar Muskelmasse und Muskelkraft alleine schon durch hormonelle Veränderungen, es kommt aber auch zu einer Verschlechterung des Last-Kraft-Verhältnisses und einer verminderten Belastbarkeit des passiven Bewegungsapparates. Psychische Labilität und ein nachlassendes Interesse an sportlicher Betätigung dominieren.
Eine Trainingsplanung sollte in dieser Phase koordinativ anspruchsvoll sein, zudem sollte die Beweglichkeit und die aerobe Leistungsfähigkeit trainiert werden. Ein technikbezogenes, gerätegestütztes Krafttraining ist zu empfehlen.

Das Training sollte stets dem Alter und den Anforderungen des Kindes angepasst sein.
In der zweiten pubertären Phase (13 bis 18 Jahre bei Mädchen und 14-19 Jahre bei Jungen) erreichen koordinative und konditionelle Fähigkeiten langsam den Status von Erwachsenen, das Knochenwachstum kommt langsam zu einem Ende und es besteht die höchste Bereitschaft des neuronalen Systems zur Verinnerlichung von Bewegungsprogrammen.
Diese Eigenschaften führen dazu, dass ein Trainingsprogramm zwar immer noch mehr umfangs- als intensitätsorientiert sein sollte, es dennoch aber an der Zeit ist, die Plangestaltung langsam an die eines Erwachsenen heranzuführen.
Nach Abschluss der Pubertät (ab 18 Jahre) gibt es keinerlei Beschränkung in Bezug auf Planung oder Intensität eines Krafttrainings mehr.
Maschinentraining besser als Körpergewichtstraining
Skeptiker behaupten, ein Training mit Gewichten oder an Geräten sei ungeeignet für Kinder, da die Belastung zu hoch sei. Derartige Thesen sind inzwischen längst überholt, da gerade an Geräten Bewegungsabläufe vorgegeben und die Belastungen sehr gut dosierbar sind.
Übungen an Maschinen, mit Gewichtsmanschetten, Hanteln und Bändern belasten untrainierte Kinder weniger als so manche Übung mit dem eigenen Körpergewicht.
Hinzu kommt, dass schlecht trainierte Mädchen und Jungen von manchen Übungen mit dem eigenen Körpergewicht wie Liegestütz, Klimmzug oder Kniebeuge hoffnungslos überfordert sind, da ihnen nicht nur die Kraft, sondern auch das notwendige Körpergefühl fehlen. Ein Training an Maschinen hingegen lässt sich dagegen geführt, sicher und dosiert durchführen.
Fachgerecht ausgeführt hat Krafttraining positive Effekte auf die Knochenentwicklung.
Vorteile von Krafttraining bei Kindern
- Steigerung von Kraftleistungen
- Verbesserte Koordination
- Verletzungsprophylaxe
- Stärkung des aktiven Bewegungsapparates
- Positive Effekte auf den Knochenbau
- Positive Veränderung der Körperzusammensetzung
- Positive Wirkung auf das Herz-Kreislaufsystem
Die vier Grundpfeiler des Krafttrainings für Kinder und Jugendliche
- Gelenkflexibilität vor Muskelkraft
- Sehnenkräftigung vor Muskelkraft (gut zu bewerkstelligen mit Zirkeltraining)
- Rumpf- bzw. Kernkräftigung vor Kräftigung der Peripherie
- Stabilisatorenkräftigung vor Kräftigung der Hauptmuskelgruppen
Fazit
Vieles spricht dafür, dass man bereits im Kindesalter mit Krafttraining beginnen kann. Veraltete Thesen zu Gefahren sind überholt und es dominieren die vielfältigen Vorteile.
Voraussetzung hierfür ist natürlich die Einhaltung spezifischer Vorgaben. Bis zum Ende der Pubertät müssen sich Trainingspläne für Kinder definitiv noch von denen für Erwachsene unterscheiden.
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