Was ist der Memory-Effekt?
Die Theorie des Memory-Effekts besagt, dass ein einmal erlangtes Leistungsniveau der Muskulatur nach einer längeren Trainingspause schneller wieder erlangt werden kann und man sich nicht alles von Grund auf neu antrainieren muss. Erfahrungsberichte zum Memory-Effekt bezeugen teilweise einen mehr als 80%igen Rückgewinn von Kraftleistungen innerhalb von nur 2 Monaten. Es fühle sich an, als ob der Neueinstieg ins Trainingsleben nicht wirklich einen Anfang bei 0 darstellt, sondern dass bestimmte Fähigkeiten, die beim Training notwendig sind, noch immer abgerufen werden können.
Zu vergleichen ist dies bildhaft mit dem Fahrradfahren. Einmal erlernt, wird man auch nach mehreren Jahren ohne Drahtesel immer wieder in der Lage sein, sturzfrei zu fahren. Gegner der These des Memory-Effekts legen hingegen nahe, dass es für neue Anpassungsreaktionen des Körpers genau desselben Zeitraumes bedarf, der zum ursprünglichen Beginn der Trainingstätigkeit notwendig war. Doch wer hat nun Recht mit seinen Behauptungen?
Eine interessante Studie
Der Memory-Effekt wurde tatsächlich wissenschaftlich untersucht. Beispielhaft lässt sich eine Studie aus dem Jahr 2005 zitieren, bei der an jungen Männern sowohl die Adaptionen (Anpassungen) nach einem 3-monatigen Trainingszyklus, als auch die Veränderungen nach einer 3-monatigen Phase ohne Training untersucht wurden. Die Trainingsphase erhöhte die Kraftleistung der Muskelfasern signifikant und der Muskelquerschnitt erhöhte sich um 10%. Nach den 3 trainingsfreien Monaten konnte kein Verlust bei der Kraftleistung festgestellt werden. Die Forscher belegten damit also einen Memory-Effekt durch Vorerfahrungen beim Krafttraining.
Wie unser Gehirn tickt
Jede einzelne Trainingseinheit, die im Laufe des Lebens stattgefunden hat, sorgt auf neurologischer Ebene für etwas, das sich „Synaptogenese“ nennt. Man versteht darunter die Neuausbildung und Verknüpfung von Nervenzellen, die sich auf die im Laufe des Trainings eingehenden Reize einstellen.
Muskeln „erinnern“ sich an jede Trainingseinheit
Unsere Muskeln erhalten Befehle zur Bewegungsausführung von Nervenzellen, mit denen die einzelnen Muskelfasern verbunden sind. Der Verbund aus beiden Komponenten wird als motorische Einheit bezeichnet. Was sich also im Gehirn als Erfahrung einbrennt, kann bei Bedarf auch nach langer Zeit wieder als konkreter Befehl weitergegeben werden, den unsere Muskulatur als solchen erkennt und muss nicht wie zu Beginn erst neu durch vielfaches „Üben“ angeeignet werden. Je nach Dauer der Trainingsabstinenz kann es dennoch einige Zeit dauern, bis die „verstaubten“ Signalpfade im Gehirn wieder freigelegt werden. Auf neurologischer Seite genügen hier oftmals schon 2 Wochen, um alte Erinnerungen wieder voll zurück ins Leben zu holen.
Zusammenspiel zwischen Schaltzentrale und Muskel
Was sich in unserem Gehirn also als Synaptogenese ausbildet, findet auf eine ähnliche Art und Weise auch beim Zusammenspiel zwischen dem Gehirn und unseren Muskeln bzw. zwischen den Muskeln untereinander statt. Auch hier spielt die motorische Einheit eine Rolle. Kraftleistungen machen sich bei Anfängern zunächst nicht durch Muskelwachstum bemerkbar, sondern über ein besseres Zusammenspiel des Verbunds aus Muskelfaser und Nervenzelle.
Durch den Memory-Effekt kommen Muskeln schneller wieder auf ein einmal erreichtes Leistungsniveau
Man bezeichnet diese Art der Interaktion auch als „intramuskuläre Koordination“, mit anderen Worten das Zusammenwirken von gleichzeitig an einer Bewegung beteiligten Muskeln. Auch die Fähigkeit, diese Interaktionen optimiert ablaufen zu lassen, kann und muss man sich als Neuling erst aneignen. Bei Wiedereinsteigern zählen koordinative Fähigkeiten zum Erfahrungsschatz, der von Anfang an mit in das Training eingebracht werden kann. Man profitiert von seinen Vorerfahrungen und muss so sprichwörtlich nicht „bei 0“ beginnen.
Was spielt sich im Muskel selbst ab?
Im Muskel selbst geht es um Veränderungen des Proteinumsatzes, um die Aktivität von Enzymen und Mitochondrien und letztlich um die sog. Muskelhypertrophie, also das Dickenwachstum der Muskulatur. All diese Effekte sind nicht langlebig. Anpassungen, herbeigeführt durch fortwährendes Training, werden auf undankbare Weise schnell wieder abgebaut und müssen nach längerer Trainingsabstinenz auch erst einmal vollständig wieder aufgebaut werden, da unser Körper in dem Erhalt nicht benötigter, stoffwechselaktiver Masse keinen ökonomischen Nutzen sieht.
Dennoch gibt es eine Sache, die sich dank einer Vorgeschichte in Bezug auf Training für Wiedereinsteiger positiv auswirkt und die auch hier als Memory-Effekt bezeichnet werden kann. Die Rede ist von einem erhöhten Aufkommen an Zellkernen im Muskel und hier besonders bei den Muskelfasern, die wir hauptsächlich im Rahmen von
Krafttraining benötigen.
Studien zeigen eine erhöhte Dichte an Zellkernen in unseren Muskeln, die durch Krafttraining herbeigeführt wurde und die auch nach einer längeren Trainingspause erhalten bleibt. Über mehr Zellkerne zu verfügen, steht in direktem Zusammenhang mit dem Wachstumspotenzial und einer besseren Kraftentwicklung.
Durch den Memory-Effekt kommen Muskeln schneller wieder auf ein einmal erreichtes Leistungsniveau
Untersuchungen zeigen hier, dass neu gebildete Zellkerne für mindestens 2 Monate komplett vor Verlust und sogar dem genetisch programmierten Zelltod geschützt sind. Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass der Effekt der Rekrutierung neuer Zellkerne mit dem Alter nachlässt und so zumindest in diesem Punkt der Memory-Effekt mit den Jahren etwas an Stärke verliert.
Erfahrungswerte sind alles
Bei allen Veränderungen, die sich nachweislich im Muskel und Nervensystem abspielen, darf man einen gewichtigen Punkt letztlich nicht vergessen, nämlich den routinierten Umgang mit Trainingsgeräten im Fitness-Club, wie man sich ihn im Laufe der Zeit aneignet. Es geht dabei um Punkte wie eine saubere Übungsausführung, das richtige Einstellen von Gerätschaften, Möglichkeiten zur Variation bei Übungen pro Muskelgruppe und das Erstellen von richtig aufgebauten, gut periodisierten Trainingsplänen. Gerade hier sind es Vorkenntnisse und persönliche Erfahrungswerte, die sich über die Jahre aufbauen und sich auch nach längerer Abstinenz vom Training als äußerst nützlich erweisen.
Fazit
Sowohl Daten aus Studien als auch schlüssige Erklärungsmodelle sprechen eindeutig dafür, dass wir als Wiedereinsteiger von den Trainingsjahren der Vergangenheit profitieren. Für all diejenigen, die also vor der Entscheidung stehen, wieder in das aktive Trainingsgeschehen einzusteigen, ist es gut zu wissen, dass man nicht bei 0 anfangen muss.