Wissenschaftler sind sich einig: Gezieltes Training führt zu erhöhter Gesundheit und mehr Lebensqualit
Ab 30 musst Du mehr tun
Der Mensch baut nach der Geburt bis ins junge Erwachsenenalter Muskelmasse auf, bis er etwa das 30. Lebensjahr erreicht hat. Ab jetzt verliert der Körper zunächst langsam und dann immer schneller an Muskelmasse. Gleichzeitig legt er an Fett zu. Ohne Training muss der Mensch bis zum 80. Lebensjahr in der Regel eine Abnahme von 30 bis 50 Prozent seiner Muskelmasse hinnehmen.&
Bei etwa 10 bis 20 Prozent der über 75-Jährigen verläuft der Schwund sogar so schnell, dass er zu einer lebensbedrohlichen Gefahr werden kann. Diese pathologische Abnahme von Muskelmasse und Muskelkraft bezeichnen Mediziner als “Sarkopenie
Wann Ärzte von Sarkopenie sprechen
Bei der Diagnose Sarkopenie liegen Muskelmasse und Muskelkraft unter speziellen Grenzwerten. Sobald 10 Meter nicht unter 12,5 Sekunden bewältigt werden können oder das fünfmalige wiederholte Aufstehen vom Stuhl, ohne sich abzustützen, nicht mehr möglich ist, sprechen Mediziner von Sarkopenie.
Ganz konkret kämpfen “sarkopene” Senioren mit scheinbar selbstverständlichen Tätigkeiten im Alltag. Das Aufstehen und selbstständige Ankleiden fällt ihnen schwer. Eine Treppe zu steigen, eine volle Einkaufstüte zu tragen oder eine Konservendose zu öffnen, entpuppen sich als schier unüberwindbare Kraftakte.
Viele Menschen gehen davon aus, dass solche Erscheinungen unweigerlich zum hohen Alter dazugehören. Tatsächlich aber sind sich Wissenschaftler einig, dass Muskelzellen auch im Seniorenalter trainiert werden können bei gleichzeitiger Zunahme von Lebensfreude und -qualität. So erkranken Trainierte seltener an Herz-Kreislauf- oder Stoffwechsel-Erkrankungen und erzielen bessere Gedächtnisleistungen.
Michael Drey, Leiter der Akutgeriatrie am Klinikum der Universität München, ist sich sicher: wer sein Leben lang sportlich aktiv war, sich gesund ernährt hat und nie ernsthaft erkrankte, baut seine Muskelmasse verzögert ab. Trotzdem könne nicht genau gesagt werden, warum manche Menschen eine Sarkopenie bekommen und andere nicht, so Drey. Weitere Einflussfaktoren wie chronische Entzündungen, Mangelernährung, der Verlust von Nervenzellen im Rückenmark und Hormone tragen aber sicher ihren teil zur Erkrankung bei.
Wer rastet, der rostet
Trotz weiterer Einflussfaktoren ist wohl Inaktivität der größte Risikofaktor für Sarkopenie. Vor allem Senioren, die viel liegen, sind gefährdet. Bereits ein gesunder 80-Jähriger verlöre während einer 10-tägigen Bettruhe zehn Prozent seiner Muskelmasse, also fünfmal so viel wie ein junger Mensch in 28 Tagen, erklärt Michael Drey. Älteren Menschen im Krankenhaus Bettruhe zu verordnen, sei sogar fatal. Insbesondere 80-Jährige mit Erkrankung bauen bereits in drei Tagen rund zehn Prozent ihrer Muskelmasse ab.
Solange es noch keine Medikamente gegen Sarkopenie gibt, bilden eine proteinhaltige Ernährung sowie ein Gleichgewichts- und Muskeltraining das A und O einer Therapie. Der Wirkstoff Bimagrumab könnte außerdem vielversprechende Resultate erzielen. Er hemmt das Protein Myostatin. Dieses vermindert das Wachstum der Skelettmuskulatur und trägt möglicherweise dazu bei, dass Muskeln im Alter beschleunigt abgebaut werden.übersteht.
Vielversprechendes Hometraining
Kraft und Balancefähigkeit wirken einer Sarkopenie entgegen. Selbst über 90-Jährige können ihre Muskelkraft merklich stärken durch ein Workout im Fitnessstudio, durch Yoga und Tai-Chi.
Für hochbetagte Senioren, die nicht mehr ins Studio können, hat Drey mit Kollegen ein Programm entwickelt, das rund um die Uhr und Daheim ausgeführt werden kann. Zur Grundausstattung gehören ein Gymnastikband und Gewichte, die aber auch notfalls durch Wasserflaschen oder Milchtüten ersetzt werden können.
Begleitend zum regelmäßigen Training muss zusätzlich auf eine proteinreiche Ernährung geachtet werden, denn nur durch Proteine können Muskeln wachsen. Der tägliche Speiseplan von Senioren sollte Lebensmittel enthalten, die proteinreich sind und möglichst viel von der Aminosäure Leucin enthalten. Rind-und Hühnerfleisch, Erbsen, Erdnüsse, Lachs und Gouda gehören also unbedingt zu einer gesunden Mahlzeit. Um den Bedarf an Proteinen bei älteren Menschen zu decken, sollten etwa 1 bis 1,2 Gramm täglich verzehrt werden.
Training lohnt sich in jedem Alter. Langzeitstudien mit Freizeitsportlern an Senioren-Wettkämpfen lassen vermuten, dass körperlich aktive Personen ein geringeres Risiko haben, an einer Sarkopenie zu erkranken. Zwar verlieren auch diese im hohen Alter an Muskelmasse, aber sie starten von einem höheren Ausgangsniveau. Ein lebenslanges, körperliches Training wirkt prophylaktisch.
Eine Studie aus dem Jahr 2011 mit dem Namen “Wie schnell läuft der Sensemann” unterstützt diese These. In der Studie wurde die Ganggeschwindigkeit von 70-Jährigen und Älteren in Beziehung zur Sterblichkeitsrate gesetzt.
Probanden, die schneller liefen als 0,82 Meter pro Sekunde hatten ein geringeres Sterberisiko als Testpersonen, die langsamer unterwegs waren. Ein gutes Kraft- und Balancetraining verspricht also viele zusätzliche Lebensjahre!