Zurzeit gibt es nur ein Thema, das nicht nur querbeet alle Medien bestimmt, sondern auch in jedem Gespräch spätestens nach einer Minute fällt: der Corona-Virus - Pandemie, Mortalität, Atemschutzmasken, Hamsterkäufe - das sind Vokabeln, die unter normalen Umständen eher selten in den alltäglichen Sprachgebrauch einfinden. Viele Menschen wissen nicht, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen sollen. Das verleitet zu vorschnellen Handlungen. Aber: Ist die damit verbundene Angst eigentlich berechtigt?
Der Göttinger Angstforscher und Psychiater Prof. Dr. Borwin Bandelow meint, dass die Angst vor dem Virus dieses größer mache als es letztendlich ist.
"Ich glaube, die Angst vor dem Virus und seiner Ausbreitung ist weit überzogen", so Prof. Dr. Bandelow. "Ich will die Krankheit nicht verharmlosen, es sterben ja auch Menschen daran. Aber mit dem Corona-Virus ist es aus meiner Sicht wie immer: Die Menschen bekommen Angst, weil sie einer neuen, großen und unbeherrschbaren Gefahr gegenübersehen. Davor haben Menschen mehr Angst als vor bekannten Gefahren."
Woher kommt diese Angst? Worin liegt deren Ursprung?
"Wir haben ein Angsthirn im Hirnstamm, das entwicklungsgeschichtlich sehr alt ist. Wenn nun eine neue Gefahr auftritt, wie das Corona-Virus, dann kann das Angsthirn nichts damit anfangen, wenn ihm das Frontalhirn vorrechnet, dass die Wahrscheinlichkeit, an einer Corona-Infektion zu sterben, doch sehr gering ist. Darum reagiert das Angsthirn instinktiv mit Angst und Flucht."
Warum vertrauen wir mehr dem Hirnstamm als der reinen Vernunft?
"Die Entscheidungen des Hirnstamms orientieren sich immer schon am Überleben. Und das Überleben geht vor. So gesehen sind Menschen wie Tiere. Auch sie reagieren auf die Entscheidungen des Hirnstamms. Das Abwägen von Fakten kennt das Angstsystem nicht. Für den Instinkt geht es sofort um Leben und Tod."
Was können wir dennoch gegen diese Angst tun?
"Tja, das ist schwierig. Aus meiner Erfahrung mit Phobikern (Menschen mit Angstzuständen) weiß ich aber, dass sich Möglichkeiten eröffnen. Nehmen Sie als Beispiel die Spinnenphobie. Auch wer Spinnen fürchtet, weiß, dass es hierzulande keine giftigen Spinnen gibt. Aber es ist seit Jahrtausenden gespeichert, dass es einmal giftige Spinnen gab. Das Einzige, was dagegen hilft, ist die Konfrontationstherapie. Sich sozusagen die Spinne auf den Arm setzen - und zu erleben, dass gar nichts Gefährliches passiert."
Wie würde eine solche "Konfrontationstherapie" bei Corona-Phobikern aussehen?
"Eine Konfrontationstherapie wäre sicher nicht angebracht. Die Angst einfach wegzuatmen oder Autogenes Training, das klappt natürlich nicht. Aber ich weiß: Wenige Wochen, nachdem eine Krise ihren Höhepunkt erreicht hat, stellt sich in der Regel eine allgemeine Beruhigung ein. In den Medien wird weniger über die Krise berichtet. Die Menschen nehmen die Bedrohung dann gelassener. Und damit schwindet auch die Panik. Bis dahin wäre ein gesunder Fatalismus das Beste: "Ich bin immer gut durchgekommen, ich werde auch jetzt gut durchkommen." Das hilft gegen die Angst", so Professor Dr. Borwin Bandelow.
Noch ist die Krise nicht überstanden und es ist schwer absehbar, welche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen sie in ihrer gesamten Bandbreite haben wird - nicht einmal einschlägige Experten trauen sich hier ein Urteil zu. Eines ist aber sicher: wir sollten besonnen im Umgang mit dem Virus umgehen und die Medien nur maßvoll konsumieren - dann ist auch die Gefahr von "Flüsterpost" und die Verbreitung von Falschmeldungen geringer, die zu Angst und Panikmache führen.